Traditioneller Glockenguss in Deutschland zur heutigen Zeit

Technologie des Mittelalters und moderner Technik-Betrieb –

Traditioneller Glockenguss in Deutschland zur heutigen Zeit

Wie wird eigentlich eine Glocke für den Guss vorbereitet? Martin Groß und Johannes Sattler, Vorstände des Domglockenvereins Magdeburg e.V., wollten das genau wissen und besuchten die traditionsreiche Glockengießerei Bachert in Neunkirchen im Neckar-Odenwald Kreis in Baden-Württemberg.

Diese Gießerei erhielt den Auftrag zum Guss der acht neuen Glocken des Magdeburger Domes. Zurzeit sind deren Mitarbeiter mit der Vorbereitung des Gusses der 6-Tonnen schweren Glocke AMEMUS beschäftigt. Auch wenn der Familienbetrieb schon in der 8. Generation Glocken gießt, wie Nicolai Wieland, der jetzige Chef, betonte, kommen Glocken dieser Größenordnung auch in seinem Betrieb nicht alle Tage zur Ausführung. Mit der Herstellung der Glockenform wurde Anfang Mai begonnen. Jetzt, nach zwei Monaten, war der Glockenkern aus Ziegeln und Lehm und die „Falsche Glocke“ aus einem Betonmaterial so weit fertig gestellt, getrocknet, mit einer dünnen Zierlehmschicht und noch einer Trennschicht aus speziellen Rindertalg überzogen worden, dass mit dem Aufbringen der Glockenzier begonnen werden konnte.

Diese Arbeiten nahm der Künstler Gert Weber persönlich, gemeinsam mit seiner Frau Edda, vor.

Die 6-armige Glockenkrone, die sowohl Zier- als auch Haltefunktion hat, war von der firmeneigenen Künstlerin, Annette Weiß, schon aus Wachs geformt und mit der Glockenform verbunden worden.

Gert Weber stellte seinerseits zu Hause bereits im Atelier vorbereiteten Negativformen der Glockenzier bereit und begann mit dem Glockennamen „AMEMUS“, den er schon als fertige Wachsbuchstaben mitbrachte, wie auch die Einzelformen des Zierfrieses, die auf dem Glockenwolm, dem unteren äußeren Glockenrand, „geklebt“ wurden. Als „Klebstoff“ dient dabei flüssiges Kolophonium. Diese Wachselemente werden auf der „Falschen Glocke“ positioniert und vorsichtig angedrückt. Danach wurde auf der Rückseite die stilisierte Darstellung des Ottonischen Doms aus dem 10. Jahrhundert angebracht. Gert Weber hatte dieses Bild auf der Bronzegrabplatte der Erzbischofs Friedrich von Wettin entdeckt und schuf mit deren Verwendung bei der Glockenzier eine sichtbare Verbindung zwischen dem alten ottonischen Dom und dem heutigen gotischen Dom. Dieses Abbild wird auf allen neuen Glocken zu sehen sein und betont sinnfällig deren „Geschwisterlichkeit“. Beides war in in der Ausschreibung für die künstlerische Gestaltung der Glockenzier gefordert worden.

Nach kurzer mittäglicher Pause bekam die Glocke dann ihr „Gesicht“ mit der Zier für die Glocken-Vorderseite. Diese besteht aus vier Teilen, die einzeln in Gips-Modeln als Negative geformt worden waren und nun noch mit flüssigem Wachs zu Positivformen auszugießen waren. Sie wurden danach Stück für Stück auf der „Falschen Glocke“ positioniert. „Nur“ das Bibelzitat und die Bibelstelle waren dann noch umlaufend auf der Glockenschulter aufzutragen. Überschüssiges Wachs zwischen den Figuren wurde nun mit einem Cutter-Messer herausgeschnitten und die gesamte Zier zur Erhöhung deren Plastizität mit hölzernen Modulierstäbchen in allen Details fein nachgearbeitet. Für alle diese Arbeiten benötigten Gert Weber, seine Frau Edda und ein Mitarbeiter der Gießerei fast 10 Stunden.

Am Folgetag war Alt-Meister Albert Bachert extra aus dem Ruhestand gekommen, um mit dem heutigen Gießerei-Chef, Nicolai Wieland und einem weiteren Mitarbeiter, die verzierte Glockenform mit einer feinen Lehmschlämpe per Hand und Pinsel zu überziehen, damit sich alle Feinheiten der Wachszierformen im noch darüber aufzutragenden Glockenmantel korrekt abbilden. Diese Prozedur muss mehrmals nach jeweiliger Zwischentrocknung wiederholt werden, bevor dann mehrere weitere festere Lehmschichten darüber aufgetragen werden können, die den stabilen Glockenmantel mit einer Dicke von 30 bis 40 cm bilden.

Ist dieser nach mehreren Wochen komplett durchgetrocknet, wird die gesamte Glockenform mit Gasbrennern von unten her erhitzt, um die Wachszierformen herauszuschmelzen, die sich als Negative im Glockenmantel abgebildet haben. Der gesamte Glockenmantel wird dann behutsam abgehoben und die auf dem Glockenkern sitzende „Falsche Glocke“ zerschlagen. Dann wird der Glockenmantel mit den darin befindlichen Negativformen der Glockenzier wieder über den verbliebenen Glockenkern gestülpt, so dass an Stelle des Platzes der zerschlagenen „Falschen Glocke“, nun ein Hohlraum entstanden ist, in den die 1100 °C heiße Glockenbronze, die „Glockenspeise“, fließen kann und die tatsächliche Glocke formt. Bis es aber soweit ist, muss die gesamte Form in der Gießgrube ringsherum mit verdichteter Erde umhüllt werden, damit der Glockenmantel dem hohen Druck des flüssigen Metalls standhalten kann.

Der Guss erfolgt traditionsgemäß immer freitags um 15 Uhr (zur Todesstunde Jesu). Zu diesem großen Ereignis lässt die Gießerei Bachert eine begrenzte Anzahl an Zuschauern zu, die der Verein zu gegebener Zeit einladen wird.